Improve Your System

Mit der aktuellen Diskussion zum Thema Digitalisierung wächst die Gefahr, die Objekt-Orientierung in der Modellierung zu übertreiben und den Menschen mit seinem freien Willen zu vernachlässigen. Entscheidungen sind mit Verantwortung für die Wirkungen verbunden, die sie auslösen. Diese liegt in letzter Instanz beim Menschen. Bei immer komplexeren Organisationen gilt es, die diversen Entwicklungen in den Bereichen „Management“ und „Führung“ zu einem konsistenten „Steuerungsansatz“ zusammenzuführen. Die Steuerung von Risiken (Chancen und Gefahren) soll zu einem verantwortungsvollen Entscheiden und Handeln befähigen. Die Konzentration auf „menschliche Aktivitäten“ in der Risikosteuerung bildet den Schlüssel zur Lösung dieser Herausforderung.

Ein konsequent auf menschliche Aktivitäten fokussierter Ansatz als wesentliche Basis auch für eine konsistente Risikosteuerung eines Unternehmens ist an sich nicht neu. Wegen der objekthaften Ausdehnung des Begriffs „Aktivität“ über menschliche Handlungen hinaus wurde er für die Praxis aber immer schwerer handhabbar.

Zudem sind bisherige Aktivitäten-basierte Ansätze rein prozessorientiert geblieben. Auch im Modell der auf dem amerikanischen „Activity-based Costing (ABC)“ basierenden Prozesskostenrechnung deutscher Prägung werden – je nach erforderlicher Granularität der Betrachtung – auf unterschiedlichen Ebenen Aktivitäten zu Teilprozessen oder Kostenstellen übergreifenden Hauptprozessen aggregiert. Die Implementierung und Pflege eines solchen mehrschichtigen Systems von Prozessen erweisen sich in der Praxis als sehr aufwendig und das System wird wegen der reinen Objekt-Orientierung immer unübersichtlicher. Demgegenüber gestaltet sich eine auf menschliche Aktivitäten fokussierte Kostenrechnung einfacher und klarer.

Eine Aktivität sei hierbei definiert als „eine von menschlicher Entscheidung getragene Handlung, sei es Tun oder Unterlassen“. Mittels dieser kleinsten Wirkelemente wirtschaftender Subjekte können – wie gezeigt werden wird – Veränderungen in Geschäftsportfolios (Produkte, Leistungen, Projekte, Ressourcen und andere Bestände) und Bewegungen als Teil von Geschäftsprozessen (Wert-, Finanz-, Informations- u. a. Ströme) konsistent verknüpft werden.

Auch „menschliche Aktivitäten“ werden hierbei wie im ABC und in den späteren Fortentwicklungen „Activity-based Budgeting (ABB)“ und „Activity-based Management (ABM)“, zueinander in Beziehung gesetzt oder zu übergreifenden Prozessen verbunden.

Der Fokus liegt dabei aber nicht auf einer möglichst umfassenden objekt-orientiert zergliederten Wertschöpfungskette oder entsprechenden internen Abläufen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Effizienz und Effektivität – also alle Geschäftsprozesse und Geschäftsportfolios – allein aus den Aktivitäten menschlicher Akteure resultieren, die sich dazu u. a. technischer Hilfsmittel bedienen, die ihnen als weitere Ressourcen zur Verfügung stehen bzw. von Management und Führung zur Verfügung gestellt werden.

In einer Organisation bedarf es des gesteuerten Zusammenwirkens vieler Menschen oder wie Albert Schweizer es einmal trefflich formulierte: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ Mit der Einbeziehung der Aktivitäten weiterer interner oder externer menschlicher Akteure, etwa Mitarbeiter oder Lieferanten, werden deren Aktivitäten entsprechende Ressourcen zugeordnet. Zur Befähigung zählen neben materiellen Hilfsmitteln auch hier durchaus Training, Schulung oder Coaching. Dabei bleiben alle Aktivitäten jeweils im Kontext der gesamten Wertschöpfungskette zu sehen. Hinsichtlich ihrer Wirkung können sie dadurch dem betreffenden Prozess, einem Portfolio (Produkt, Einzelleistung, Projekt, Ressource etc.) oder auch einem Geschäftsbereich (Unit) zugeordnet werden.

Alle Ressourcen eines Unternehmens werden so zur Durchführung menschlicher Aktivitäten zur Leistungserstellung eingesetzt. Wie beim ABC sind daher auch die Kosten und Risiken bzw. Chancen und Gefahren der Ressourcen den korrespondierenden Aktivitäten zuzurechnen, zu planen, zu budgetieren oder zu steuern. Über Kostentreiber können die so errechneten Kosten später wie gewohnt einzelnen Kostenträgern zugeordnet werden.

Das ABC beschränkt dabei die Ebene der Aktivitäten aber nicht auf menschliche Aktivitäten. Demgegenüber wird hier empfohlen, die Kosten und Risiken der Ressourcen den Aktivitäten, die diese in Anspruch nehmen, über ihre Treiber unmittelbar und in jedem Einzelfall mit der jeweiligen Entscheidung über sie zuzuordnen. Weil der jeweilige Kostenansatz dabei unmittelbar mit der Entscheidung über eine Aktivität verbunden und dokumentiert ist, lässt sich ein subjektiver Wertansatz periodisch über eine Gegenprüfung mit den Werten aus der traditionellen Buchhaltung bzw. Kostenrechnung abgleichen und kann erforderlichenfalls operational korrigiert oder strategisch angepasst werden.

Die so willensorientiert vom Menschen als Subjekt-gesteuerte Unternehmung berücksichtigt danach automatisch alle wesentlichen subjektiven Aspekte. Daraus lassen sich in aggregierter Form Hinweise auf das (Geschäfts-)Klima oder die (Risiko-)Kultur ableiten. Die Befähigung der Mitarbeiter hinsichtlich ihrer Aktivitäten kann ebenfalls gezielt gesteuert werden. Ebenso lassen sich auf diese Weise verhaltensorientierte Ansätze im Accounting, im Controlling oder Risikomanagement top-down unter Berücksichtigung des menschlichen Willens und seiner Einflüsse aufs Unternehmen unterstützen.

Zu Management und Führung gehört es, (Q1 z-Achse) Regeln und Parameter, aber auch Visionen und Kultur zu gestalten, Managementmodelle zu verändern bzw. an neue Kontexte, Beziehungen oder Umgebungen anzupassen. Die dafür notwendige Flexibilität und zugleich geforderte Resilienz kann ein Unternehmen allerdings nur erreichen, wenn dessen Steuerung auf kleinsten Wirkelementen des Systems aufsetzen kann, sprich hier: es Aktivitäten-basiert gesteuert wird. Siehe dazu Q3 in der Abbildung unten.

Nicht erst seit Kant sind alle Empfindungen und Erkenntnisse nach der „reinen Vernunft“ nur unter den Bedingungen der räumlichen oder zeitlichen Anschauung des jeweiligen Subjekts möglich. Nach Schopenhauer können wir uns darüber hinaus durch die Selbstbeobachtung gewiss werden, wie wir uns im „Willen“ (wie jedes Subjekt) selbst erfahren.

Die Innovationsneigung (Wille zur Macht oder zur Veränderung) wird geometrisch im Q1 in der Abbildung unten, dem ersten Quadranten (rechts oben) bestimmt. Sie basiert auf Erwartungen, die wiederum auf der Realisierung von Prozessrenditen über Preise am Markt basieren.

Die Geschäftserfolgskurve im zweiten Quadranten und die Markterfolgskurve im vierten Quadranten werden hierzu hinzugezogen. Markterfolge stellen dabei unrealisierte Werte dar. Der dritte Quadrant zeigt für jede einzelne Aktivität im Bestand des jeweils betrachteten Systems oder Subsystems die Gleichgewichtsbedingung, die auf der Winkelhalbierenden immer erfüllt ist. Im Vier-Quadranten-Modell sind auch hier wie gewohnt die x-Achsen von unten nach oben und die y-Achsen von links nach rechts gleich zu lesen. Die verwendeten Funktionslinien sollen hier lediglich eine grobe Vorstellung der grundlegenden Verhältnisse ermöglichen.

Abbildung: Vier-Quadranten-Modell zur Risikosteuerung

Eine Entscheidung zu fällen bedeutet grundsätzlich frei zwischen Alternativen zu wählen. In der Ausrichtung des Unternehmens kann der Schwerpunkt einer stetigen Verbesserung tendenziell eher in einem festen Rahmen begründet liegen oder in mehr Offenheit und Anpassungsfähigkeit.

Entgegen der gefühlsmäßig eher positiven Erwartung einer Effizienzverbesserung durch eine Automatisierung oder strengen Regulierung, verringert – wie hier erkennbar wird – eine auf Effizienz fokussierende Kultur faktisch eine risikogewichtete Rendite wegen gleichzeitig steigender Prozessrisiken. Denn für die operationelle Risikosteuerung gilt, dass ein Risiko aus Renditeerwartungen erwächst: „ohne Renditeerwartung kein Risiko“.

Wenn sich also Hierarchie und Machtwille stärker ausprägen und sich in Form klarer Regeln positiv auf das Renditewachstum auswirken können (Gefahr entspricht Chance), so gibt es demgegenüber bei einer flexibleren Organisation zwar häufig prozessuale Reibungspunkte und Ineffizienzen, aber der Veränderungswille und die Innovationsneigung sind ebenso höher. Dafür werden strategisch Portfoliorisiken in Kauf genommen. Denn marktseitig gilt: „die Rendite folgt aus dem Risiko“. Ohne jede Veränderung von Preisen, Qualität oder Dichte (hier zugleich Maß für Komplexität) etc. der Portfolioelemente (hier die Aktivitäten einer Organisation) wäre schließlich keine Rendite zu erzielen.

Neben der Berücksichtigung eines freien Willens kann mit Hilfe einer Aktivitäten-basierten Risikosteuerung (ABR) so zugleich die eingangs beschriebene Konsistenzlücke zwischen Management und Führung geschlossen werden. Das 4-Quadranten Modell macht dies deutlich: Die Dimension „Prozessrisiko oder die Dinge richtig tun“ (Q2) steht in Verbindung mit der Dimension „Portfoliorisiko oder die richtigen Dinge tun“ (Q4).

Vielleicht hilft hier zur Erklärung die Formulierung des Kant-Verehrers Richard Wagner, der seinen Parsifal sagen lässt: „Ich schreite kaum, doch wähn‘ ich mich schon weit.“ Und Gurnemanz antwortet: „Du siehst, mein Sohn, zum Raum wird hier die Zeit.“ Zeit und Raum, Raum und Zeit, bilden auch hier zwei miteinander verwobene Seins-Ebenen, die auf einander einwirken. Diese Dimensionen bilden zugleich die Basis unseres Verstehens und Grundlage unserer Existenz.

Die bislang in der Praxis verwendeten Methoden und Tools bedienen nur inselhaft entweder die Anforderungen an ein effizienz- bzw. prozessorientiertes Management von Systemen mit innerem Wirkungszusammenhang. Oder sie bedienen (ebenso objekt-basiert) die Anforderungen an ein effektivitäts- bzw. marktorientiertes Management unorganisierter, stochastisch betrachteter Systeme. Letztere stellen eher fiktive Portfolios (aus voneinander unabhängigen Elementen) dar, die in der Geschäftspraxis kaum zu finden sein dürften.

In Zeiten hoher Komplexität (Q4) und immer weiter zunehmender Dynamik (Q2) ist eine im jeweiligen praktischen Kontext konsistente Steuerung von Prozessen und Portfolios einer Organisation bzw. eines organisierten Systems über menschliche Aktivitäten unabdingbar. Keine Technik vermag auf der Basis eines freien Willens verantwortlich zu entscheiden.

Für eine konsistente Lösung des chancen- und risikoadjustierten Optimierungsproblems von Portfolios aus diskreten, veränderlichen Elementen und stetig fließenden Prozessen, wie bei dem gemeinsamen Produkt- oder Anpassungsmanagement von Produktion und Vertrieb eines Unternehmens oder bei der konsistenten Liquiditäts- und Performancesteuerung eines Asset Managers, können diese in einem dynamischen Modell, wie dem vorgenannten 4-Q Modell, einheitlich verstanden, dargestellt und bewertet werden. Die fehlende integrierte, konsistent verknüpfte Portfoliosteuerung und alle anderen bereits angeführten Nachteile der bisherigen Aktivitäten-basierten Ansätze ließen sich jedenfalls durch einen konsequenteren Subjekt-orientierten Ansatz zur Unternehmenssteuerung beheben.